MULTIVAC Sepp Haggenmüller SE & Co. KG: Digitale Transformation im Mittelstand!
Ein Paradeprojekt für moderne Arbeit von morgen.
Ein Paradeprojekt für moderne Arbeit von morgen.
New Work beschreibt die Arbeitswelt der Zukunft mit mehr Freiheit, Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit. Der Allgäuer Mittelständler MULTIVAC hat die Abteilung Digitalisierung innerhalb des Unternehmens neu aufgebaut und von Beginn an diese neue Arbeitsweise des New Work Ansatzes umgesetzt. Die Entwicklung dieses Prozesses mit allen Herausforderungen und Hintergründen sowie der New Work Idee werden von Dr. Marius Grathwohl, Vice President Digital Products and Transformation, und Patrick Binzer, Software Developer / Product Owner, erläutert. Das neu geschaffene Digitalisierungszentrum kann die digitale Transformation des gesamten Unternehmens vorantreiben, arbeitet interdisziplinär und verfolgt ambitionierte Wachstumsziele.
Aus welcher Idee heraus ist die Abteilung Digitalisierung bei MULTIVAC entstanden?
Grathwohl: Das Thema ‚Digitalisierung‘ begann als Projekt in einem Lenkungskreis auf Geschäftsleitungsebene. Unser CFO, Herr Traumann, und unser CTO, Herr Spix, initiierten erste Schritte zur zukünftigen Fokussierung der Thematik. Die Idee war mit der Umsetzung von sogenannten ‚Smart Services‘ zu beginnen. Hierbei war der „MULTIVAC Pack Pilot“ eines der ersten Projekte, bei welchem wir gesagt haben: Hier wollen wir Industrie 4.0 mit Leben füllen. Herr Binzer ist Product Owner für den MULTIVAC Pack Pilot und führt dieses Projekt. Aus meiner Sicht ein Paradeprojekt wie man moderne Arbeit von morgen bereits heute gestalten kann.
Binzer: Ich bin seit Juli 2018 in der Abteilung Digitalisierung und das Projekt verfolgt den Zweck dem Maschinenbediener beim Kunden aber auch bei MULTIVAC die Maschinenkonfiguration zu vereinfachen. Wir wollen mit dem MULTIVAC Pack Pilot erreichen, dass der Kunde nur noch produktspezifische Parameter (z.B. das Produkt welches verpackt wird, Verpackungseigenschaften, verwendete Folien) auswählen muss.
Können Sie bereits erste Erfolge verbuchen oder überwiegen noch die Holpersteine?
Grathwohl: Wir haben die Thematik bei MULTIVAC ja quasi von null aufgebaut. Mir wurde die verantwortungsvolle Aufgabe übergeben, eine eigene Einheit zum Thema Digitalisierung und Entwicklung von Smart Services aufzubauen. Während des Aufbaus dieser Einheit haben wir vieles anders gemacht: Wir konnten von Vornherein steuern, dass wir gar nicht erst in eine streng hierarchische Organisationsstruktur übergehen, sondern unsere Arbeitsweise agil gestalten. Das bedeutet wir haben jetzt Product Owner für unsere administrativen Tätigkeiten und Scrum Master zur Unterstützung unserer Entwicklungsgruppen. Die Teams sind interdisziplinär gestaltet und uns war wichtig, dass die Mitarbeiter unterschiedliche fachliche Hintergründe haben. Das stellt uns natürlich auch vor Herausforderungen, besonders was das Thema Kommunikation angeht. Aber es lohnt sich, weil gerade diese Spannungen, die hier teilweise zu bewältigen sind, das Team stark machen und helfen, dass man Themen von unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und sich gegenseitig kritischer reflektiert.
Binzer: Zudem kommt dadurch ein optimierter Austausch zustande. Wenn mir ein Kollege aus der mechanischen Konstruktion die Verpackungsmaschine auf Basis seiner Expertise erklärt, dann kann ich als Softwareentwickler einiges dazu lernen. Dieses Hintergrundwissen kann ich dann für die Implementierung einer Software wieder anwenden.
Grathwohl: Wir haben parallel zu unseren Softwareentwicklern auch Innovation Scouts im Bereich, deren Aufgabe ist es unter anderem, einen engen Kontakt zu unseren Kunden herzustellen und zu pflegen.. D. h. alle zwei Monate kommen Pilotkunden bei uns vorbei, denen wir unsere Arbeitsergebnisse der letzten Wochen vorstellen, um schnell ein Feedback von potenziellen Anwendern zu bekommen. Dieser ganz enge Kontakt zum Kunden ist für uns von großer Bedeutung, denn wir wollen nichts entwickeln, was dann niemand braucht.
Binzer: Im Projekt MULTIVAC Pack Pilot arbeiten wir zum Beispiel in Drei-Wochen-Sprints. Drei Wochen wird entwickelt und dann werden die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Das Produkt ist also getrieben vom Feedback.
Grathwohl: Home Office ist auch so eine Sache. Das haben wir von Anfang an als selbstverständlich gelebt. Und so wie mir das zugetragen wurde, hat das dazu geführt, dass Home Office auch in einigen anderen Bereichen erweitert angeboten wird. Ich glaube übrigens auch daran, dass das Vertrauen in die Mitarbeiter durch solche Maßnahmen gestärkt werden kann. Ich muss dazu sagen, agile Entwicklung ist nicht für alle Projekte gleich gut geeignet. Agilität kommt dann zu ihren Vorzügen, wenn man sich mit Projekten und Arbeitsaufgaben beschäftigt, die komplex und bislang unbekannt für das Team sind. Da ist Digitalisierung und Softwareentwicklung hinsichtlich der Anforderungen prädestiniert, insbesondere weil man hier viele Themen nicht end-to-end durchplanen kann. Es sind viele Unbekannte, sodass es gerade in diesen Situationen sinnvoll ist, agile Methoden anzuwenden. Schwierig wird es, wenn man versucht Situationen, die auch mit klassischen Methoden gut funktionieren, unbedingt auf agil „umzudrehen“.
Sie wollten Ihren Digitalisierungsbereich explizit auf dem Campus der Firma MULTIVAC angesiedelt haben. Andere Firmen suchen bewusst eine räumliche Trennung zum Stammhaus, damit mehr organisatorische und inhaltliche Freiräume gegeben sind. Wo sehen Sie hier bei sich den Vorteil?
Grathwohl: Grundsätzlich muss man sich fragen: „Was will ich mit diesem Projekt erreichen?“. Irgendwann ist ja diese Phase vorbei, in der ich mir Gedanken gemacht habe, was ich machen möchte. Dann geht es stark in die Operationalisierung und die Entwicklung, wo ich dann die Themen durchexerzieren muss. Wenn ich mir das zum Beispiel beim MULTIVAC Pack Pilot vorstelle, greifen wir intensiv auf wichtiges Unternehmens-Knowhow zurück. Die unterschiedlichen Kollegen hier aus dem Stammhaus sind für uns zur Bewältigung dieser digitalen Herausforderung unentbehrlich.
Binzer: Es sind wirklich verschiedenste Abteilungen, die miteinander arbeiten. Ich brauche jemanden, der Knowhow für das Bedienterminal der Maschine hat. Dann muss eine Kommunikation stattfinden zwischen der Cloud und der Maschine– hier brauche ich dann wieder jemanden aus der Steuerungstechnik. Zudem braucht es Expertenregeln, die im Hintergrund angewendet werden. Dafür sind dann Kollegen aus der Mechanik für die Erarbeitung gefragt. Ebenso haben wir Softwareentwickler, welche die Expertenregeln aus der mechanischen Perspektive in Software gießen. Und so ist das ein Projekt mit vielen Personen, die aus unterschiedlichsten Richtungen kommen.
Grathwohl: Jetzt gibt es aber noch eine weitere Perspektive: Wenn ich das, was wir tun, auch als transformative Aufgabe verstehen möchte, also dass wir als Abteilung quasi die digitale Transformation des Gesamtunternehmens vorantreiben wollen, umso mehr macht es natürlich Sinn, dass ich so eine Einheit im Unternehmen selber platziere. Nur dann kann das Unternehmen partizipieren und wir können durch den Dialog mit anderen Mitarbeitern Impulse setzen. Veränderungen beginnen schließlich mit der Kommunikation. Wir sprechen über Tools, die wir nutzen oder über neue Wege, die wir gehen. Ich glaube, dass man so auch den Wandel besser schafft als nur über harte Rollouts. Wenn ich das Thema Digitalisierung also von vornherein aus- und abkopple, dann verwehre ich mir diese Chancen der Transformation von innen heraus.
Wenn Sie dies nun unter dem Gesichtspunkt von New Work beleuchten – Was verbinden Sie mit diesen Worten?
Binzer: Freie Arbeitsgestaltung ist für mich New Work. Dass ich einfach meine eigenen Aufgaben so zusammenstelle und mich so entwickeln kann, wie ich möchte. New Work ist unabhängig davon wo ich arbeite und wann ich arbeite. Ich denke es hat auch etwas mit New Work zu tun, dass ich mir selbstbestimmend meine eigenen Ziele setze und die Arbeit selbst gestalte.
Grathwohl: Ich denke New Work bedeutet auch, neue Arbeitsumgebungen zu schaffen. Mehr auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu setzen als auf command & control. Ich denke es macht am ehesten Sinn, dass man Menschen das machen lässt, was sie am liebsten tun, denn dann erhält man die besten Arbeitsergebnisse. Dieses gegenseitige Vertrauen aufzubauen, Mitarbeiter zu befähigen und auch lernen loszulassen, das sind mir die wichtigsten Punkte, wenn es um mein Rollenverständnis einer modernen Führungskraft geht. Wir haben jetzt auch sogenannte OKRs, also Objectives & Key Results, als Führungs- und Zielmethode bei uns eingeführt. OKRs funktionieren quartalsbasiert, d.h. ich lege Abteilungsziele für ein Quartal fest und kommuniziere diese an meine Mitarbeiter. Jeder Mitarbeiter überlegt sich dann selbst wo er mitwirken könnte. Ich sage aber auch immer bewusst, dass Mitarbeiter gerne auch eigene Themen in ihre OKRs einbringen können, die sie selbst vorantreiben möchten.
Binzer: Wenn wir agile Softwareentwicklung einsetzen, benötigen wir natürlich auch mehr oder weniger agile Ziele, die sich innerhalb von 3 Monaten erfüllen lassen und sich dann aber auch wieder ändern können. Die OKRs funktionieren deshalb eigentlich ganz gut für uns.
Möchten Sie Ihr Team in den nächsten Jahren weiter ausbauen?
Grathwohl: Wir haben relativ ambitionierte Wachstumsziele. Letztes Jahr hatten wir ebenfalls sehr hochgesteckte Ziele, doch die haben wir leider nicht vollständig erreichen können. Es ist tatsächlich nicht leicht, in diesen neuen Technologiebereichen geeignete Arbeitskräfte zu finden. Wir haben jetzt aber eine Abteilungsgröße erreicht, mit der wir Fahrt aufnehmen können. Und aufgrund der aktuellen Bewerberlage denke ich, dass wir dieses Jahr auch noch weiter wachsen werden. Dann müssen wir schauen wie es nächstes Jahr weitergeht. Die ganzen Themen rund um Digitalisierung und datenbasierte Dienste leben schließlich von der Skalierung und dafür brauchen wir auch entsprechende Kapazität an Mitarbeitern. Daneben haben wir auch noch einiges an Ideen, die wir zusätzlich umsetzen wollen, d. h. wir werden definitiv noch weitere Ausschreibungen platzieren. Das trifft aber nicht nur auf unsere Abteilung zu, denn auch andere Bereiche füllen Digitalisierung bei MULTIVAC mit Leben: Die IT ist bei uns klassisch unterbesetzt und auch die Steuerungstechnik sucht permanent nach Softwareentwicklern im Maschinenumfeld.