Der Karatsbichl: Wo die Oberstdorfer einst das Skifahren lernten

15.02.2021
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Allgäu GmbH, Dominik Berchtold

Am Fuß des Söllerecks befindet sich ein sanftes Wiesengelände, auf dem bis in die 80er Jahre Skifahrer unterwegs waren. Heute rodeln dort Familien. Andere Gäste wiederum genießen die ausgezeichnete Küche des traditionsreichen Gasthauses.

Der Berggasthof Karatsbichl atmet Oberstdorfer Geschichte. Auf dem Hang dahinter haben viele Menschen das Skifahren gelernt. Darunter Prominente wie die holländische Kronprinzessin Juliane, die 1930 dort mit ihrem Gefolge zum ersten Mal auf Skiern stand. Noch bevor der erste Skilift am Karatsbichl gebaut wurde, übten dort viele Oberstdorfer das Skifahren. Zum hohen Bekanntheitsgrad des Karatsbichl trugen die Gebrüder Hermann und Lise Schedler bei. Die beiden waren schon früh dem noch jungen Skisport verfallen und Mitglieder des Oberstdorfer Skivereins und Skiclubs.

Eigene Ski aus Eschenholz und Gründung der ersten Skischule Oberstdorf
Die beiden fertigten ihre ersten Skier noch selbst aus Eschenholz an. Dazu bogen sie die Skispitzen im heißen Wasser auf, als Bindung dienten noch Hausschuhe, in die man mit Halbschuhen einstieg. Wer bei einem Skirennen eine Chance haben wollte, musste einen Schuhlöffel mitnehmen. Zwischen 1922 und 1924 legten Hermann und Lise Schedler die Skilehrerprüfung ab und gründeten kurz darauf die Skischule Schedler am Karatsbichl. 1932 schloss sich die Skischule mit der Skischule Brutscher - Müller - Merz und anderen Skilehrern zur ersten Oberstdorfer Skischule zusammen, die noch heute besteht und die Hermanns Enkelin Claudia Joas leitet.

Adelige Skischüler am Karatsbichl
Ab 1924 dann lernten viele das Skifahren. Unter anderem Persönlichkeiten, wie der damalige Kultusmister von Sachsen mit Familie oder die Schauspielerin Magda Schneider. Auch Graf Hubert von Neippberg zählten zu Hermanns Skischülern und auch die bereits erwähnte holländische Kronprinzessin Juliane.
Hermann und Luise Schedler waren oft in St. Anton. 1928 waren die beiden auf Einladung des Arlberger Skipioniers Hannes Schneider und fuhren dort ihr erstes Slalomrennen. Schneider hätte die Hermann-Gebrüder gerne als Skilehrer behalten. Aber die beiden träumten von einem Skidorf, das sie nach dem Vorbild von Zürs zu Hause gründen wollten. Anfang der 30er Jahre wäre der Plan beinahe aufgegangen. 14 Teilhaber haben den Kaufpreis von 16.500 Reichsmark für die Möser von Warmatsgund bereits ausgehandelt, aber die Alpe Warmatsgund wurde „nationalsozialistischen Zwecken“ zugeführt. Heute steht an der Stelle das Naturfreundehaus Kanzelwand.
Der Vater der beiden Brüder, Karl Hermann, war dem Skisport gegenüber sehr aufgeschlossen und so war er bereit, dass auf seinem Grundstück am Karatsbichl ein kleines Gasthaus gebaut wird. Im Jahr 1927 entstand in viel Eigenarbeit die Skihütte Karatsbichl.

Von der Skihütte zum Gasthaus Karatsbichl
Zuerst bewirteten noch die drei Geschwister Hermann, Lise und Agathle die kleine Gaststätte, bis 1931 Hermann mit seiner Frau die Wirtschaft übernahm. „Es war eine unbeschwerte, fröhliche Zeit mit Musik und Gesang der Geschwister Schedler und ohne die Pressiererei von heute“, erinnert sich das inzwischen 92-jährige Hannele. 1931 wurde die Hütte zum ersten Mal erweitert, wenige Jahre später begann der Zweite Weltkrieg. Hermann Schedler wurde 1939 zum ersten Polenfeldzug einberufen. Die folgenden Jahre verbrachte er als Soldat auf dem Hohen Balkan bis zum Kriegsende. Seine Frau war mit den drei Kindern auf sich allein gestellt und betrieb die Skihütte weiter bis die Wirtschaft ganz zum Erliegen kam. Nach dem Krieg ging der Skibetrieb weiter und 1949/50 bauten die Gebrüder Schedler den ersten Skischlepplift von Oberstdorf am Karatsbichl. Es war ein schwieriges Unterfangen: Die Liftstützen waren noch Holzkonstruktionen, das 1. Drahtseil war Kriegsware und nach dem ersten Winter schon beschädigt. Die Schedlers behalfen sich dann mit Pferdekraft.

Der Skilift war sehr beliebt. Zehn bis zwölf Skikursgruppen mit rund 20 Personen waren im Gelände am Karatsbichl täglich unterwegs. Wenn ein Torlauf oder Skimeisterschaft dazu kam, war der Hang fast überfüllt. Auch viele Kinder aus Oberstdorf mit ihren Skiern und Rodeln kamen hierher. Die Piste war deshalb immer glatt wie ein Brett. Viele Sportgrößen, wie Toni Brutscher und Max Bolkart übten hier das Skifahren und auch die Slalomspezialisten Willi Klein oder Franz Vogler kamen gerne an den Karatsbichl, um nur ein paar zu nennen. Der Karatsbichl erlebte zwei Allgäuer Alpine Skimeisterschaften, bis 1961/1962 mit dem Bau des Höllwieslifts die Wettkämpfe dorthin verlegten wurden. 1967 schließlich wurden die Holzstützen des Karatsbichlliftes altersschwach. Auch eine Autozufahrt wurde weiterhin verwehrt. Deshalb entschloss man sich zum endgültigen Abbruch der Anlage. Hermann Schedler litt unter dieser Entscheidung, weil seine große Leidenschaft der Skisport war. Deshalb errichtete er 1968 einen „Skimuli“. Auf diese Weise konnte er für die Grundschüler Oberstdorf und den Springernachwuchs eine Trainingsmöglichkeit anbieten. 

1986 starb Hermann Schedler. Der letzte Lift am Karatsbichl wurde zurückgebaut. Eine seiner Enkelinnen wurde Snowboarderin. Als man sie fragte, weshalb sie dem Skisport untreu geworden wäre, meinte sie: „Das hätte mein Opa bestimmt auch probiert!“ Mittlerweile gibt es keine Hänge mehr zum Skifahren am Karatsbichl. Nur noch selten kehren Skifahrer in der Wirtschaft ein. Der FIS-Hang sowie alle weiteren Abfahrten, die Fuchslöcher, Kuh, Almoos sind vermurt und verwachsen. Aber jeden Winter kehrt leben ein, wenn Familien das Skigelände mit Schlitten und Plastikrutschen erobern.

Eines der letzten Restaurants in Oberstdorf, das sich Authentizität und Tradition bewahrt hat
Das Gasthaus Karatsbichl ist nach wie vor geöffnet und es atmet Oberstdorfer Skigeschichte. Alte Bilder, Urkunden, Medaillen und Pokale finden sich in der Wirtschaft. Und Schedler-Tocher Marie Luise mit ihrer Familie bewirtet das Haus. Sie serviert ihren Gästen nach wie vor den Kaiserschmarren so, wie ihn einst Erzherzog Friederich von Österreich hier gerne gegessen hat. Es ist heute die hervorragende Küche mit Allgäuer Gerichten und besten Zutaten aus der Region, welche heute die Gäste begeistert.