Achtung, schräge Töne: In der Fastnacht ziehen im Allgäu Guggenmusiken durch die Gassen.

Ein aus der Schweiz übernommener Brauch, der im Allgäuer Winter nicht wegzudenken ist.

    Wer Guggenmusik nicht kennt, dem helfen ChatGPT oder Wikipedia nur bedingt weiter: Guggenmusik ist eine besondere Form der Blasmusik, die vor allem während der Fasnacht in der Schweiz, Süddeutschland (besonders im Allgäu), Liechtenstein und Teilen Frankreichs gespielt wird. Sie ist geprägt von lautem, oft schrägem und rhythmischem Klang. Wikipedia geht weiter: Hier steht, es handle sich um „eine stark rhythmisch unterlegte, auf ihre eigene, sehr spezifische Art falsch oder schräg gespielte Blasmusik.“ Falsche Töne? „Das stimmt so nicht“, widerspricht Josef Hodrus aus Isny im Allgäu der Wissensplattform. Der Trompeter dirigierte lange die älteste Guggenmusik im Allgäu und arrangierte Stücke für die Kapelle. „Die Musiker spielen nicht falsch. Sie reizen nur den individuellen Spielraum aus“, erklärt Josef Hodrus. „Guggenmusiker spielen kein Konzert. Keine Stücke, die sich an streng arrangierte Noten halten. Hier hat jeder die Möglichkeit, sich maximal zu entfalten, alles aus seinem Instrument herauszuholen.“ Die Energie würde dabei vor allem durch die Rückmeldung aus dem Publikum entstehen.

    Rhythmus und Klang, Kostüme und Masken:
    Guggenmusik ist geprägt von extrem viel Rhythmus. Die Stücke sind oft bekannte Pop- oder Rockmelodien, die in einem unkonventionellen und oft schrägen Stil interpretiert werden. Die farbenprächtigen Kostüme, die Masken, der Rhythmus, die voluminösen Töne springen auch bei Eiseskälte eines winterlichen Nachtumzugs aufs Publikum über: „Man hört, spürt und sieht die Botschaft. Das ist nonverbale Kommunikation und eine multisensorische Erfahrung. Nicht zu vergleichen mit Musik von einer CD“, erklärt der Hirnforscher Prof. Lutz Jäncke von der Universität Zürich. „Bei so extremen Rhythmen hört der Mensch auf zu denken, und automotorische Bewegung setzt ein.“ Guggenmusiker wissen, was der Wissenschaftler meint: „Guggenmusik kann man nicht erklären, man muss sie erleben: Die Kostüme, synchrone Bewegungen, die schnellen Schlagwerke auf Rädern, die Bässe mit ihren großen, nach vorne ausgerichteten Trichtern – das funktioniert nur live.“
    Für ihre farbenprächtigen, ausgefallenen Kostüme, ihre Gruppen- und Rhythmusstärke sind die Hausemer Guggenmusiker bekannt. Seit 38 Jahren sorgen über 50 Guggenmusiker und ein Fahnenträger aus dem Umkreis von Memmingen im Allgäu, Bayrisch-Schwaben, Oberschwaben, Illertal, Bodenseekreis und sogar in der Schweiz, Frankreich und Italien für herausragende Stimmung. Dabei spielen sie auf Dorfbällen und Marktplätzen genauso wie in großen Festhallen oder ziehen durch die Gassen von historischen Städten wie Memmingen. Die farbenprächtigen Kostüme wechseln alle drei Jahre, sind in Eigenregie entworfen und werden in mühseliger Handarbeit umgesetzt. Die Kopfbedeckungen werden schon mal in Österreich entworfen und hergestellt.
    Der Ursprung des Musikstils liegt in der Schweiz: Mitte des 19. Jahrhunderts zogen in Basel „improvisierte Musiken“, sogenannte „Katzenmusiken“, durch die Stadt. Die erste Kapelle unter dem Begriff „Guggenmusik“ wird bereits 1906 erwähnt: Es sei eine Musik, die „Steine erweichen, Menschen rasend machen kann.“
    allgaeu.de/guggenmusik

    TIPP
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