In Lautrach im Unterallgäu stand bis in die 70er Jahre hinein eine geschichtsträchtige Skisprungschanze: „die Kirchbergschanze“. Auf ihr sprangen sportliche Größen der Nachkriegszeit. Aber nicht nur dort, auch in vielen anderen Allgäuer Orten. Sie alle zeugen davon, wie wintersportverbunden doch die Allgäuer sind. Die Chronik von Adelbert Kern erlaubt einen Rückblick auf eine der ehemals über 20 Schanzen im Allgäu:
Es ist der 26. Dezember 1952: Das Weihnachtsspringen auf der Kirchbergschanze in Lautrach im Unterallgäu steht an. Der Olympia-Teilnehmer Toni Brutscher aus Oberstdorf hatte bei dem offiziellen Eröffnungsspringen im November die neu umgebaute Skisprungschanze lieben gelernt und „sprach sich über sie sehr anerkennend aus“, heißt es in einem Vorbericht der Allgäuer Zeitung vom 24.12.1952. „Ihm ist es nun auch zu danken, wenn die bekannten Ski-Springer aus dem oberen Allgäu am zweiten Weihnachtsfeiertag in Lautrach springen werden, nachdem die Springer-Elite gerade am heurigen Weihnachtsfest sehr viele Einladungen in die verschiedensten Wintersportorte des Allgäues und Oberbayerns erhalten hat“, heißt es darin weiter.
Seinem Ruf folgen weitere sportliche Größen aus Oberstdorf, wie der damalige Deutsche Meister im Skispringen, Sepp Weiler, und Heini Klopfer. Was macht die neu umgebaute Schanze so beliebt? Liegt es an dem Potential für weitere Sprünge? Die Vermutung liegt nahe. Es heißt weiter: „Der TSV Lautrach hat in den letzten Monaten die Kirchbergschanze noch weiter ausgebaut, so dass nun Sprünge über 50 Meter möglich sein werden.“
3.000 Zuschauer verfolgen schließlich das Weihnachtsspringen in Lautrach live vor Ort. Für die damaligen Verhältnisse war dies viel Publikum, gab es doch etwa Platz für etwa 100 Leute rund um den Auslauf der Schanze. Zudem lebten 1952 gerade einmal 300 Einwohner in Lautrach.
Sepp Weiler gegen Heini Klopfer, aber es gewinnt Max Bolkart
Es ist ein spannendes Kopf-an-Kopf-Springen zwischen Sepp Weiler und Heini Klopfer: Weiler gewinnt, obwohl Klopfer weiter springt. „Haltungsmäßig fiel er aber mit 228 Punkten gegenüber dem in wunderschöner Haltung springenden Sepp etwas ab, der eine Note von 232,6 Punkten erreichte“, heißt es. Hans Seidel wurde Dritter und „eine ausgezeichnete Leistung vollbrachte der Jungmann Max Bolkart-Oberstdorf, der mit 42/40 und der Note 218,1 Vierter in der Gesamtwertung wurde.“
Heini Klopfer zugleich Architekt der Lautracher Schanze
Der Skispringer Heini Klopfer ist gleichzeitig auch der Architekt der Kirchbergschanze. Er hat den Umbau der Schanze im Herbst 1952 geplant. So wurde der Anlauf durch einen Anlaufturm verlängert und verbessert und folglich musste der Aufsprung und Auslauf angepasst werden.
Anfang November 1952 dann die Erkenntnis bei einer Baustellenbegehung: „Die Schanze befand sich noch ‚in trostlosen halbfertigen Zustand‘.“ Das will der damalige Abteilungsleiter des TSV Lautrach nicht hinnehmen. „Durch die Initiative und Organisationsfähigkeit (...) Dr. Heini Suiter wurde das Unmögliche noch möglich und tatkräftige Männer aus dem Verein haben das stattliche Bauwerk termingerecht zur Vollendung geführt.“
Allgäuer Nordische Meisterschaften in Lautrach, Oberleitung hat Olympiateilnehmer Ludwig Böck aus Nesselwang
Am 4./5. Februar 1956 findet die Allgäuer Nordische Skimeisterschaft in Lautrach statt. Die Vergabe an diesen Ort ist vor allem dem regen Vereinsleben des TSV Lautrach zu verdanken. Bei dieser Veranstaltung gelingt es Hermann Anwander „den Schanzenrekord auf 47 m zu schrauben.“ Olympiateilnehmer Ludwig Böck aus Nesselwang hat bei den Allgäuer Nordischen Skimeisterschaften die organisatorische Oberleitung, das Kampf- sowie das Schiedsgericht. Nach ihm ist auch heute noch das „Sportheim Böck“ auf der Alpspitze oberhalb von Nesselwang im Ostallgäu benannt. Böck hatte die Hütte mit Gasthaus 1933 erbaut, damit möglichst viele Gäste das Skifahren lernen. Auch der mehrfache Deutsche Meister Max Bolkart aus Oberstdorf fährt gerne für Wettkämpfe zur Skisprungschanze in Lautrach.
Lautrach: Flutlichtschanze beliebt bei Spitzensportlern
1961 gewinnt Bolkart das Nachtspringen auf der Kirchbergschanze. Die Flutlichtanlage macht die Schanze wohl auch so attraktiv für die Sportler - sie war die nördlichste Schanze mit einer permanenten Flutlichtanlage.
Jahre später: Erdrutsch macht Schanze unbrauchbar
Es folgen Jahre mit vielen sportlichen Veranstaltungen, bis am 20. August 1965 erstmals zu hören ist, „dass die Sprungschanze durch einen Erdrutsch in der Aufsprungbahn unbrauchbar geworden ist“. Eine Sanierung zieht sich hin, bis zwei Jahre nach dem Erdrutsch der Vereinsvorsitzende erste Zweifel äußerte, ob sich eine Schanzenreparatur überhaupt lohnen würde. Er wird überstimmt, die Schanze saniert und 1969 findet ein Nachtspringen zur Wiedereröffnung der Schanze statt. Nur zwei Jahre später rutscht die Erde erneut an dem Hang ab. „Quellen auf dem lehmigen Hang“ sind laut Chronik die Ursache und die Schanze ist wieder defekt. Die Reparaturkosten von ca. 100.000 DM kann weder der Verein noch der Bayerische Skiverband übernehmen. Weil zudem die Schneeverhältnisse der letzten Winter so schlecht waren, dass kein Sprungbetrieb hätte durchgeführt werden können und dem Verein nun die Springer fehlten, beschloss man schließlich 1976 „die Schanze mit Anlauf- und Kampfrichterturm (soll) einstweilen bestehen bleiben, bei notwendigen Sicherungs- und Absperrmaßnahmen.“ In den 80er Jahren folgt die Auflassung der Schanze. Heute ist nicht mehr sichtbar, dass am Kirchberg einst eine so beliebte Sportstätte war. Der damalige Auslauf „dient heute als Parkplatz für den modern gestalteten Sportplatz,“ lautet auch der letzte Satz in der Chronik von Adelbert Kern.
Quelle: Chronik - Adelbert Kern, in den Archiven der Druckerei Mayr & Abel, Legau
Eine Übersicht aller bayerischen Schanzen gibt es hier: http://www.skisprungschanzen.com/DE/Schanzen/GER-Deutschland/BY-Bayern/