Der ehemalige Profi-Skispringer Max Bolkart aus Oberstdorf verfolgt die Ski-WM vor dem Fernseher und erinnert sich an seine Karriere.
Ein gemütliches Kaminzimmer im Hotel Freiberg in Oberstdorf: Hier sitzt Max Bolkart (88 Jahre alt) auf einer bequemen Sitzbank am Tisch und erzählt von seiner sportlichen Karriere als Skispringer, die er 1965 beendet hat. An der Wand stehen viele Pokale in einem großen Regal, die zeigen, dass er sehr erfolgreich war. Außerdem hängen einige Schwarz-Weiß-Bilder von ihm in Aktion an den Wänden. Bolkart wird bei der Ski-WM daheim vor dem Fernseher Karl Geiger, dem Skispringer aus Oberstdorf, die Daumen drücken. Für den 88-Jährigen ist er der Favorit für den Titel: „Wo der andere schon das Zittern anfängt, hält er drauf und springt dementsprechend weit.“
Sein geschulter Blick für das Skispringen hätte ihn eigentlich zu einer Stelle als Trainer nach seiner Karriere verholfen. „Es ist nicht so, dass ich nie gefragt wurde. Mir wurde der Posten schon angeboten. Aber mir war die Verantwortung zu groß, die Stelle zu übernehmen. Es kann ja bei jedem Wettkampf etwas passieren“, erzählt er.
Respekt vor der Landung, schlecht für die Haltungsnote
„Ich persönlich hatte immer Respekt vor der Landung. Deshalb habe ich mich schon in der Luft zur Sicherheit in Position gebracht, um dann besser bei der Landung zu stehen. Von daher habe ich als Springer oft schlechte Haltungsnoten bekommen“, erzählt Bolkart und fügt lachend hinzu: „Mir hat mal jemand aufgrund meiner schlechten Haltungsnoten gesagt, dass ich nie Allgäuer oder Bayerischer Meister werde.“
„Jede Saison springen die Sportler weiter, selbst wenn es nur ein halber Meter ist. Die wissenschaftliche Entwicklung hinter dem Sport bleibt nicht stehen“ sagt er. Nur in einer Hinsicht hat er sich dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt als Springer verwehrt: Obwohl es damals auch schon Lifte für die Athleten gab, ist er immer mit seinen geschulterten Skiern hochgelaufen. „Als ich am Schanzentisch war, waren alle anderen schon oben und haben immer irgendwelche Kommentare abgegeben“, erinnert er sich. Er hat auch selber mit seinem Material experimentiert. Er erzählt mit einem Glitzern in den Augen: „Ich war für die Finnen ein gefürchteter Gegner. Damals habe ich einen Brocken Paraffin bekommen und ich habe etwas gemogelt. Ich bin um 2 Uhr nachts aufgestanden und habe meine Skier solange poliert, bis sie spiegelglatt waren.“ Am Freitag hat er sie dann schon beim Training ausprobiert und war begeistert. Die Kommentare ließen nicht lange auf sich warten: „Auf den Max muss man Obacht geben“.
1960 wurde Ewald Roscher aus Baden-Baden Trainer des deutschen Nationalteams. „Er war Malermeister und wir alle haben damals über ihn, seinen gelernten Beruf und seine mitteldeutsche Herkunft gemauschelt. Am Anfang hat er uns die schweren Sprungskier verboten und meinte, dass Tourenski für das Springen besser seien. Als Folge haben damals viele das Team verlassen. Er hat reagiert und wieder die regulären Sprungski zugelassen. Sie verleihen in der Luft schließlich Stabilität“, erzählt er.
Vor allem bei viel Wind haben die Springer keinen Halt in der Luft. Bei solchen Konditionen helfen auch die schweren Sprungski nichts. Damals gab es auch noch nicht die Technik in Form von Windnetzen entlang der Schanze. Nur einmal habe er seine Sprungski unverrichteter Dinge wieder runtergetragen. Er war schon oben auf dem sogenannten „Donnerbalken“ gesessen, also dem Balken oben an der Skisprungschanze, von dem jeder Athlet für seinen Sprung startet. „Wir hatten für den Sprung auf der Schanze bezahlt, aber es war zu gefährlich“, sagt er.
Vor seiner Karriere als Skispringer wollte Max Bolkart immer Skirennfahrer werden. Damals ist er schon gerne über Schanzen gesprungen. „Wir haben die Schanzen dann immer höher im Absprung gebaut. Meine Ski gingen oft kaputt“, erzählt er lachend und sagt weiter: „Mein Vater hat mich schließlich auf das Skispringen gebracht. Er war selber sportlich und betrieb Bodenturnen als Hobby. Wir saßen an einem gemeinsamen Skitag am Söllereck wie so oft oben im Schönblick und haben Mittag gemacht. Mein Vater langte in seine Tasche und hat mir Geld gegeben, damit ich mir Skisprungski kaufen konnte.“
Erster westdeutscher Sieger der Vierschanzentournee
Weil Bolkart hartnäckig mit den Skiern trainierte und er immer versuchte, das Beste aus einem Sprung zu machen, war er sehr erfolgreich. Er wurde viermal deutscher Meister im Skispringen. Der Höhepunkt seiner Karriere war schließlich 1959/60: Er wurde als erster westdeutscher Springer Sieger der Vierschanzentournee. Das war zu Zeiten des Kalten Krieges. Alle waren damals sehr stolz auf den Sportler aus Oberstdorf, weil er dem ostdeutschen Athleten Helmut Recknagel den Titel streitig gemacht hatte. Dieser hatte zuvor zwei Jahre in Folge die Vierschanzentournee gewonnen. Die gesamten Teams aus der DDR, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und aus Polen nahmen 1959/60 an dem Wettkampf nicht teil, weil die BRD die Flagge der DDR-Sportler nicht anerkannte und den Start unter dieser verbot.
Nach Max Bolkart gewinnt Karl Geiger nach 61 Jahren erstmals wieder das Auftakspringen
Nach knapp 60 Jahren erst sollte es wieder einem Oberstdorfer gelingen, auf der heimischen Schanze zu siegen: Dem Oberstdorfer Karl Geiger gewann das Auftaktspringen in Oberstdorf der 69. Vierschanzentournee.
Als Max Bolkart 1965 seine erfolgreiche Karriere beendete, riss der Kontakt zu den ehemaligen Team-Kameraden bald ab. Das Skispringen wird ihn immer begleiten: Ob in Form von ausgestellten Pokalen, alten Bildern an der Wand oder eines Nachmittags vor dem Fernseher, wenn das deutsche Nationalteam bei der Ski-WM in Oberstdorf springt.